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Veröffentlicht am 6. Juli 2006
Beim Thema Heroin kommt Margrit Weißbach ins Schwärmen. Ginge es nach dem Willen der gesundheitspolitischen Sprecherin der CDU im Frankfurter Römer, dann würde nicht lange diskutiert. »Unser Projekt hat sich bestens bewährt. Es muss weitergehen«, sagt die Christdemokratin, die, wie sie einräumt, früher anders dachte und erst in der Auseinandersetzung mit den Drogenproblemen in der Stadt die ideologische Wende vollzog.
Weißbach bedauert, dass ihre Parteifreunde auf Bundesebene »leider« in dieser Frage dogmatischer argumentieren als in Frankfurt. Die Berliner hatten, vor der Sommerpause mit offensichtlich dringenderen Problemen beschäftigt, der Basis schon vorher signalisiert: Kommt uns jetzt ja nicht noch mit Heroin!
Also hängen die Frankfurter weiter in der Warteschleife, ebenso wie die anderen Städte, die seit etwa vier Jahren in einem Modellversuch die kontrollierte Heroinvergabe für eine kleine Gruppe therapieresistenter Schwerstabhängiger testen – außer Frankfurt sind das noch Hamburg, Hannover, Köln, Bonn, Karlsruhe und München.
Offiziell ist die rund 30 Millionen Euro teure Heroinstudie Ende Juni ausgelaufen. Ein Ergebnis liegt vor, das niemanden überrascht, weil ganz ähnliche Versuche in der Schweiz und in den Niederlanden schon vor Jahren zu ganz ähnlichen Ergebnissen geführt hatten: Regelmäßige Heroingaben verbessern den Gesundheitszustand der Versuchsteilnehmer; sie sind sozial besser integriert und begehen deutlich weniger Straftaten.
Nur eine Frage bleibt: Was tun mit den Teilnehmern des Versuchs, nun, da die Ergebnisse vorliegen? Sollen sie zurück auf die Straße? Bislang hat das niemand gefordert. Um die Behandlung fortzusetzen, andererseits, müssten jene Maßnahmen ergriffen werden, die zu prüfen Sinn des Versuchs war: Heroin müsste zum verschreibungspflichtigen Medikament erklärt werden, was eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes erfordern würde. Doch da sträubt sich die Union. Daher wollen Kommunen und Länder einstweilen so tun, als gäbe es weiteren Forschungsbedarf; sie haben den Versuch, dessen Ergebnis ja vorliegt, auf eigene Kosten verlängert.
»Für mich als Mediziner ist nicht nachvollziehbar, warum die Politik noch weitere Langzeitergebnisse fordert«, sagt Wilfried Köhler, der Leiter der Frankfurter Drogenambulanz. »Das ist ein Spiel auf Zeit«, vermutet er. Sei die Ambulanz erst einmal geschlossen und ihr Personal in alle Winde zerstreut, werde niemand mehr »den Kraftakt für einen Neustart« auf sich nehmen.
In der Schweiz wundert man sich über das Schneckentempo im Nachbarland. »Wie viele Studien wollt ihr denn noch machen?«, fragt Barbara Mühlheim, Leiterin der Drogenambulanz in Bern, die den Frankfurtern bei der Vorbereitung ihres Versuchs vor vier Jahren geholfen hat.
Haben die Deutschen zu viel Geld? Einer Kosten-Nutzen-Analyse aus der Schweiz zufolge spart ein Heroinpatient dadurch, dass er einen festen Wohnsitz und Arbeit hat, weniger strafauffällig wird und seltener ins Krankenhaus muss, der Gesellschaft 60 Euro am Tag. Zieht man davon 33 Euro für die Heroinvergabe ab, bleibt unterm Strich ein Gewinn von 27 Euro pro Tag. Für eine vergleichbare Bilanz in Deutschland fehlen nach Angaben der mit der Auswertung befassten Universität Hannover die nötigen Daten – trotz des Versuchs.
Vermutlich sähe das Ergebnis auch in dieser Hinsicht in Deutschland nicht anders aus als in der Schweiz. Klaus zum Beispiel, der in Wirklichkeit anders heißt, hing vor dem Heroinversuch einem für die Gesellschaft ziemlich kostspieligen Lebensstil an. Er lebte auf der Straße, schlief, »wo es sich gerade ergab«, bettelte, dealte, wurde erwischt, verurteilt, kam ins Gefängnis und dachte, wieder draußen, rund um die Uhr nur daran, wie er »an den nächsten guten Stoff kommen« könnte.
Inzwischen ist Klaus 50 Jahre alt und invalide. Das Straßenheroin hat einen Teil seiner Leber dauerhaft geschädigt. Zweimal am Tag kommt er in die mit Panzerglas und Videokameras gesicherte Heroinambulanz im Frankfurter Osten, um sich hier unter ärztlicher Aufsicht den Stoff zu spritzen. Klaus hat wieder eine Wohnung und einen Job. Seine tägliche Heroindosis hat er reduziert. Auf lange Sicht möchte er ganz aussteigen.
Das ist bisher nach Angaben der Frankfurter Drogenbeauftragten Regina Ernst nur »einigen wenigen« von 116 Heroinpatienten gelungen. Die Gruppe ist inzwischen nur noch halb so groß wie am Anfang. Die meisten Patienten werden mit Methadon weiterbehandelt, aus Sicht der Drogenbeauftragten ein großer Erfolg. »Die eine Behandlung setzt die andere voraus.«
Was einerseits gut ist für das Image des Projekts, treibt auf der anderen Seite die Kosten in die Höhe. Neue Heroinpatienten durften nicht in das Programm aufgenommen werden. Da die Heroinambulanzen ihre laufenden Kosten kaum senken konnten, wurde jeder einzelne Patient auf diese Weise »irre teuer«, sagt die Schweizer Ambulanzleiterin Mühlheim.
Ohnehin hätte der deutsche Versuch aus ihrer Sicht ruhig etwas kleiner ausfallen können. Sie staunte seinerzeit nicht schlecht über den Umbau der deutschen Ambulanzen zu Hochsicherheitszentren und über die Vorschrift, dass bei jeder Vergabe zusätzlich zum Pflegeteam ein Arzt anwesend zu sein hatte. Das sei eben »deutsche Gründlichkeit«, vermutet die Schweizerin.
Inzwischen zeigt sich ein Nebeneffekt der deutschen Gründlichkeit: Die künstlich hochgetriebenen Behandlungskosten werden zum stärksten Argument der Heroingegner. Immerhin haben die Gesundheitsminister der Länder »überwiegend ihre Zustimmung für eine heroingestützte Behandlung Schwerstabhängiger signalisiert«, wie Hamburgs konservative Gesundheitssenatorin Birgit Schnieber-Jastram mitteilt. Allerdings, ergänzt der Sprecher der Senatorin, könne man eine solche Gesetzesänderung ja »nicht hopplahopp durchwinken«.
Vierzehn Jahre nachdem Hamburg im Bundesrat den Heroinversuch beantragte, wollen die Gesundheitsminister nun offenbar erst einmal gründlich nachdenken.
Artikel der Zeit Online: Stoff vom Staat