1. Veröffentlicht am 22. Januar 2013
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    Die Arztpraxis als Selbstbedienungsladen für Drogensüchtige: Vor Monatsfrist berichtete diese Zeitung über mehrere Psychiater im Kanton Bern, welche die Drogenszene mit rasch abhängig machenden Medikamenten versorgen – vorab mit dem Schlafmittel Dormicum aus der Gruppe der Benzodiazepine, aber auch mit Medikamenten wie Ritalin. Diese Medikamente sind allesamt dem Betäubungs- mittelgesetz unterstellt.

    Nun werden kantonale Politiker aktiv: Zum gestrigen Sessi- onsauftakt des Grossen Rats haben Barbara Mühlheim (GLP, Bern), Enea Martinelli (BDP, Matten) und Anna Linder (Grüne, Bern) unter dem Titel «Genug ist genug!» eine dringliche Motion eingereicht.

    Die zentrale Forderung: Der Kanton soll Richtlinien erlassen zur Verschreibung von dem Betäubungsmittelgesetz unterstellten Medikamenten an Süchtige. Zwar müssen solche Verschreibungen vom Kantonsarztamt bewilligt werden. Doch weil die therapeutische Freiheit der Ärzte in der Schweiz sehr weit geht, kann der Kantonsarzt einem Arzt auch bei hohen Dosierungen die Bewilligung kaum verwehren.

    Kommt faktisches Verbot?
    Wie Kantonsarzt Thomas Scho- chat sagt, existiert bereits eine Richtlinie, die auf die Empfeh- lungen der schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin verweist. Doch wirklich handfest sei das nicht, gibt Schochat zu: «Da es sich nur um Empfehlungen handelt, ist der Grad der Verbind- lichkeit relativ gering.» Barbara Mühlheim, als Leiterin der Kontrollierten Drogenabgabestelle Bern vertraut mit der Materie, geht dies zu wenig weit. Vor allem im Bezug auf Dormicum – das stark wirkt, günstig zu haben ist und verheerend rasch abhängig macht – will sie griffigere Vor- schriften. Mühlheim fordert, dass der Kanton keine Bewilligungen mehr zur Verschreibung von Dormicum an Süchtige erteilt: «Es gibt keine medizinische Studie, die belegt, dass eine Abgabe an Drogenabhängige Sinn macht.» Weder könnten Süchtige damit adäquat behandelt werden, noch erreiche man eine psychische und soziale Stabilisierung. Wenn es politisch erwünscht sei, könne man die Richtlinie in diese Richtung verschärfen, sagt Kantonsarzt Schochat: So dass in der Substitutionsbehandlung nur noch Benzodiazepine mit einem relativ langsamen Wirkungseintritt und einer mittellangen bis langen Halbwertszeit bewilligt werden. Diese würden nicht «einfahren» und könnten deshalb kaum für «Flashes» missbraucht werden. Dormicum mit seiner kurzen Halbwertszeit wäre so ausgeschlossen.

    Neben strengeren Richtlinien fordert die Motion unter anderem ein griffiges Kontrollsystem, damit grosszügige DormicumRezepte in keinem Fall mehr dem Radar des Kantonsarztes entgehen. Zudem soll der Kanton ein niederschwelliges, unbürokratisches Meldesystem schaffen, wo Apotheken, Spitäler und Ärzte Verdachtsfälle deponieren können.

    Kommt Praxisbewilligung?
    Darüber hinaus hat gestern auch Daniel Steiner-Brütsch (EVP, Langenthal) auf die Berichterstattung über die DormicumÄrzte reagiert: Zuhanden der Fragestunde von kommendem Dienstag will er vom Regierungsrat etwa wissen, ob die Einführung einer Praxisbewilligung ein probates Mittel zur besseren Kontrolle sein könnte. Im Kanton Bern brauchen selbstständige Ärzte bloss eine Berufsausübungsbewilligung.

    Kantonsarzt Schochat hatte bereits im Dezember gesagt, dass eine Praxisbewilligung helfen würde: Mit diesem Mittel in der Hand könnte sein Amt bei Meldungen über zweifelhafte Praktiken Kontrollen vor Ort machen.

    Der Fall

    Ende Dezember wurde bekannt, dass ein Bieler Psychiater die Drogenszene grosszügig mit dem rasch süchtig machenden Medikament Dormicum versorgt. Wie er selber sagt, kommen die meisten Drogenabhängigen alleine wegen des Dormicum zu ihm: Er gibt ihnen das Medikament ab, weil sie bereits lange schwer Dormicumsüchtig sind und er ihnen so zu helfen glaubt. Seine Rezepte beinhalten bis zu zehn Packungen gleichzeitig – mit der Folge, dass ein beträchtlicher Teil auf dem Schwarzmarkt verdealt wird. Mit seiner eigenwilligen Auslegung der Bewilligungspflicht für die Dormicum-Abgabe an Drogenabhängige strapaziert der Psychiater die Dehnbarkeit des Betäubungsmittelgesetzes. Damit tanzt er dem Kantonsarztamt als Aufsichtsbehörde auf der Nase herum – obschon seine Auslegung mindestens in einem Punkt klar falsch und seine Praxis damit wohl illegal ist.

    Der Fall des Bieler Psychiaters ist zwar krass, aber kein Einzelfall: Auch in Bern sind drei Psychiater wegen ihrer grosszügigen Dormicum-Rezepte einschlägig bekannt.

    Der Artikel im Bieler Tagblatt: Junkies sollen kein Dormicum mehr kriegen