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Veröffentlicht am 13. September 2013
fab. Die bürgerliche Mehrheit des Grossen Rats traut der Regierung in der Spitalpolitik nicht mehr über den Weg: Dies ist die Bilanz nach der gestrigen Debatte zum neuen, umstrittenen Spitalversorgungsgesetz, in der sich Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP) viel Kritik gefallen lassen musste. Seinen Spielraum haben SVP, BDP, FDP und EDU gestern mit einem ungewöhn- lichen Vorstoss massiv eingeschränkt: Noch bevor die Vernehmlassung beendet ist, schreiben sie der Regierung im Detail vor, welche Punkte sie wieder aus dem Gesetz streichen soll. Rechtlich ist die Regierung nicht an die Vorgabe gebunden; politisch ist erheblicher Ärger zu erwarten, wenn sie davon abweicht.
Besonders umstritten ist ihr Plan, bis zu 20 Prozent der Einnahmen aller Spitäler aus dem Geschäft mit zusatzversicherten Patienten abzuschöpfen.
Perrenoud ist im Grossen Rat aufgelaufen
Die bürgerliche Mehrheit des Grossen Rats hat die Kantonsregierung zurückgepfiffen: Sie soll ihr Spitalgesetz massiv entschärfen. Philippe Perrenoud musste sich harte Kritik anhören.
Fabian Schäfer
Gestern, zum Ende der Session, lieferte sich der Grosse Rat einen kurzen, heftigen Schlagabtausch um die Spitalpolitik. Von einem «handstreichartigen Überfall» sprach die Linke (Michael Aebersold, SP); die Mitte beklagte den «spitalpolitischen Autismus» der Regierung (Barbara Mühlheim, GLP); rechts hiess es, die Regierung dürfe sich «nicht länger mit Notverordnungen durchwursteln» (Peter Brand, SVP).
In der Sache ging es um einen Expressvorstoss zum umstrittenen Entwurf des neuen Spitalgesetzes. SVP, BDP, FDP und EDU reichten die Motion erst letzte Woche ein, verlangten aber, dass sie noch in dieser Session behandelt wird – und setzten dies kraft ihrer Mehrheit im Rat locker durch. So war auch die Debatte gestern Formsache: Der Grosse Rat hat den Vorstoss mit 87 gegen 62 Stimmen überwiesen.
Eine Machtdemonstration
Damit ist den Bürgerlichen eine Machtdemonstration gelungen. Sie machen Gesundheits- direktor Philippe Perrenoud (SP) klare Vorgaben, wie das neue Spitalgesetz auszusehen habe – und das noch vor dem Ende der Vernehmlassung. Rechtlich ist die Regierung zwar frei, wie weit sie sich daran halten will; politisch war das Signal aber deutlich. Die bürgerliche Mehrheit will vor allem diese Punkte aus dem Gesetzesentwurf verbannen:
– Die sieben öffentlichen Regionalspital-Gruppen sollen nicht zusammengelegt, sondern unverändert beibehalten werden.
– Der Kanton soll den Spitälern bei den Investitionen freie Hand lassen und sie weder so akribisch überwachen wie geplant noch eine Bewilligungspflicht für gewisse Bauprojekte einführen.
– Der Kanton soll keine «Mengensteuerung» einführen, sondern es Spitälern und Krankenkassen überlassen, ob sie einen «Mengenrabatt» aushandeln, falls die Spitäler bestimmte Leistungsmengen überschiessen.
– Die Bürgerlichen wollen nicht, dass die Spitäler künftig bis zu 20 Prozent ihrer Einnahmen aus Zusatzversicherungen (privat und halbprivat) an den Kanton abtreten sollen.
– Der Kanton soll die Psychiatrischen Dienste umgehend aus der Verwaltung in eine AG auslagern.
Philippe Perrenoud liess nicht durchblicken, ob er die Vorgaben so umsetzen will. Er rief die Fraktionschefs aller Parteien auf, sich demnächst mit ihm an einen «runden Tisch» zu setzen. Die Bürgerlichen machten klar, dass sie keine Verzögerung dulden: Sie verlangten verbindlich, dass das Gesetz im März 2013 in den Grossen Rat kommt, damit es wie geplant 2014 in Kraft treten kann. Bis dahin gelten die Verordnungen, welche die Regierung per Dringlichkeitsrecht erlassen hat, die aber demokratisch nicht legitimiert seien, wie SVP-Fraktions-chef Peter Brand betonte.
Nicht nur die Privatspitäler
Die Linke warf den Bürgerlichen vor, sie verträten nur die Interessen der Privatspitäler, die in der Tat die lauteste Kritik üben (vgl. kurzen Zweittext). «Ohne viel zu denken, rennt ihr dem Anführer der Privatspitäler hinterher», sagte Irène Marti (SP) und meinte damit Jean-François Andrey, den CEO von Lindenhof-Sonnenhof. Enea Martinelli (BDP) hielt dagegen, auch öffentliche Spitäler und Krankenkassen seien gegen das Gesetz. Wie die Regierung hielt Natalie Imboden (Grüne) fest, wenn der Kanton die Spital- leistungen nicht mehr steuern könne, könne er die Kosten nicht kontrollieren. Peter Brand (SVP) vertraut in dieser Frage den Krankenkassen, die auch keine Kostenexplosion wollten und zudem Know-how und Personal hätten, um dies zu kontrollieren. Davon hält wiederum Perrenoud nichts: Die Krankenkassen hätten keine politische Legitimation, sagte er.
Eine Mitteposition nahmen die Grünliberalen ein: Ihre Sprecherin Barbara Mühlheim beklagte, es gehe hier nur noch um Machtpolitik. Sie teilte beidseits aus: Perrenoud und dessen Regierungskollegen warf sie vor, ihnen mangle es an politischer Sensibilität und sie nähmen die Zeichen des Grossen Rats nicht ernst. Die Bürgerlichen ermahnte Mühlheim, jetzt nicht zu «überbeissen».
«Gegen eine Wand»
bt. Die härteste Kritik an der Spitalpolitik von Gesundheitsdirektor Perrenoud kommt von den Vertretern der Privatspitäler. Jean-François Andrey, Chef des Berner Lindenhofs, griff Perrenoud im Juli in einem Interview scharf an: «Wenn man mit Herrn Perrenoud verhandelt, ist es, als spräche man gegen eine Wand.» Schon damals nahm Andrey die gestrige Kritik vorweg: Perrenoud habe «das Gefühl, er könne sich über alle anderen hinwegsetzen, sogar über den Grossen Rat».
Die Kassen zahlen mehr als der Kanton
fab. Krankenkassen zahlen mehr. Die Regierung betont gern, der Kanton müsse die Spitalangebote weiterhin mitsteuern können, weil er 55 Prozent der Kosten übernehmen müsse. Das stimmt jedoch nur, wenn es um die stationären Fälle geht, also um jene Behandlungen, für die der Patient länger als 24 Stunden im Spital ist. Hier bezahlt der Kanton in der Tat mehr als die Krankenkassen, welche die restlichen 45Prozent beisteuern. An die ambulanten Fälle hingegen muss der Kanton nichts bezahlen, die gehen voll zulasten der Grundversicherung.
Deshalb stimme es gar nicht, dass der Kanton den grösseren Teil der gesamten Spitalkosten trage, erklärte gestern in der Grossratsdebatte Enea Martinelli, BDP-Grossrat und Interlak-ner Spitalapotheker. Beim Spital Frutigen-Meiringen-Interlaken zum Beispiel übernehme der Kanton insgesamt 32 Prozent der Kosten, beim Spital Region Oberaargau seien es 37 Pro- zent.
Die Hauptdiagnose ist, dass die Regierung ungebremst die frontale Konfrontation mit fast allen wichtigen Playern gesucht hat: von Spitälern über Krankenkassen bis zur bürgerlichen Grossratsmehrheit. Ihr Gesetzesentwurf öffnet viel zu viele Fronten: Die Regierung will Einnahmen der Spitäler abschöpfen, die Spitäler beim Unterhalt ihrer Infrastruktur bevormunden, die noch jungen regionalen Spital-AGs zu einem kantonsweiten Konzern zusammenlegen – kurz: Das Gesetz ist eine Provokation. Dafür erhielt die Regierung gestern die Quittung. Das hat sie primär sich selber zuzuschreiben. Wer so entschlossen gegen eine Mauer rennt, darf sich nicht wundern, wenn es wehtut.
Allerdings gehen die Bürgerlichen nun etwas gar forsch ans Werk. Insbesondere wäre es falsch, die ominöse, oft missverstandene «Mengensteuerung» einfach so aus dem Gesetz zu kippen. Sie soll verhindern, dass Spitäler mit unnötigen Behandlungen ihre Fallzahlen optimieren. Die Spitäler sind bereit, Tarifverträge einzugehen, die dasselbe Ziel verfolgen, indem sie ab einer gewissen Fallmenge Rabatte vorsehen. Die Regierung will nun eine Klausel einführen, die subsidiär greift, wenn ein Spital nicht freiwillig solche Verträge eingeht. Über die Details mag man noch streiten, aber im Grundsatz erscheint das nicht abwegig. Jedenfalls ist zu hoffen, dass diese Frage trotz allem noch ernsthaft diskutiert wird.
Autor: Fabian Schäfer
Artikel des Bieler Tagblatts: Eine Ohrfeige für Philippe Perrenoud